Was der Nutri-Score auf Lebensmitteln bringt – und was nicht

 
 
 

Noch ist unklar, ob der Nutri-Score bald zur verpflichtenden Angabe wird. © picture alliance / Geisler-Fotopress | Christoph Hardt/Geisler-Fotopres

Zugreifen oder im Regal lassen? Der Nutri-Score auf Lebensmitteln soll die Entscheidung erleichtern und bietet Hilfe auf den ersten Blick. Doch der simple Aufbau des Ampelsystems ist auch ein Problem

Essiggurken mit dunkelgrünem A, Müsli mit gelbem C und Schlagsahne mit orangenem D: Seit zwei Jahren begegnen Kundinnen und Kunden im Supermarkt immer öfter Produkten, auf die der sogenannte Nutri-Score gedruckt ist. Das Ampelsystem gibt auf den ersten Blick Auskunft über den Nährwert eines Lebensmittels.

Das kann eine sinnvolle Hilfe beim Einkauf sein. Noch fehlt der Score aber auf vielen Produkten. Zudem zweifeln Experten daran, ob alle Verbraucherinnen und Verbraucher mit dem System umgehen können.

Der Nutri-Score von dunkelgrünem A bis rotem E ist eine fünfstufige Ampel. Nach einer festen Formel wird errechnet, in welche Kategorie ein Produkt fällt. Sie ist für die allermeisten Lebensmittel gleich. Zucker, Salz, gesättigte Fettsäuren und viele Kalorien wirken sich dabei ungünstig aus. Ein hoher Anteil unter anderem an Obst, Gemüse, Nüssen, Ballaststoffen und Eiweißen bringt Pluspunkte. Zusatzstoffe und Aromen werden nicht berücksichtigt. Seit November 2020 kann der Score hierzulande rechtssicher - aber auf freiwilliger Basis - auf verpackte Lebensmittel gedruckt werden.

Der Nutri-Score soll Verbrauchern die Auswahl innerhalb einer Produktgruppe - also zum Beispiel innerhalb der Kategorie Brot oder der Kategorie Milchgetränke - erleichtern, erläutert Benedikt Merz vom Max Rubner-Institut, dem Bundesforschungsinstitut für Ernährung und Lebensmittel. Also: Heute möchte ich Pizza essen, für welche soll ich mich entscheiden? Oder: Für mein Dinner möchte ich noch einen Nachtisch kaufen, welcher ist im Vergleich die ernährungsphysiologisch etwas günstigere Wahl. Soweit die Theorie.

Wer nur Produkte mit grünem Nutri-Score kauft, tut der Gesundheit noch lange nichts Gutes

"Die Realität ist, dass Verbraucher die Farben oft intuitiv bewerten. Grün gekennzeichnete Produkte werden als grundsätzlich unbedenklich wahrgenommen, ein rotes E hingegen als Stop-Signal", sagt Merz, der auch im Wissenschaftlichen Gremium des Nutri-Score sitzt, das die Regeln für das Ampelsystem weiterentwickelt. "Die größte Schwäche des Nutri-Scores ist, dass das System aufgrund seines einfachen Aufbaus falsch gelesen werden kann." Merz zufolge wäre eine riesige Informationskampagne, wie der Nutri-Score richtig anzuwenden ist, "äußerst sinnvoll".

Auch Armin Valet von der Verbraucherzentrale Hamburg hält den Score für erklärungsbedürftig. "Wer ausschließlich Produkte mit grünem Nutri-Score-Label kauft, tut seiner Gesundheit noch lange nichts Gutes." Denn zum einen spiele bei gesunder Ernährung sowohl Vielfalt als auch Menge eine Rolle - beides bilde der Nutri-Score aber nicht ab. Zum anderen sei das Ampelsystem nur auf abgepackten Lebensmitteln zu finden, nicht aber beispielsweise auf frischem Obst und Gemüse, die ein Grundpfeiler ausgewogener Ernährung sind.

"Der Nutri-Score nimmt den Verbrauchern nicht die Verantwortung ab, grundsätzliche Ernährungsempfehlungen zu kennen", sagt Valet. In eine ähnliche Kerbe schlägt Sarah Häuser von der Verbraucherorganisation Foodwatch. "Der Nutri-Score ist keine individuelle Ernährungsberatung."

Verbraucherschützer fodern eine Nutri-Score-Pflicht

Grundsätzlich befürworten Verbraucherschützer aber den Nutri-Score - und machen sich für eine Pflicht stark. "Er ist leicht verständlich und eine Einkaufshilfe bei der Entscheidung zwischen zwei ähnlichen Produkten", sagt Valet. Verbraucherinnen und Verbraucher können den Nährwert eines Produkts besser einschätzen, weil der Nutri-Score wichtige Nährstoffe wie Zucker, Salz oder gesättigte Fettsäuren berücksichtige.

Der Nutri-Score als Entscheidungshilfe funktioniert umso besser, auf desto mehr Produkten die Lebensmittel-Ampel zu finden ist. "Bei der Abdeckung gibt es Fortschritte, aber es ist noch nicht genug", sagt Valet. So seien Vergleiche bei Pizzen schon gut möglich, bei Frühstückscerealien fehle der Nutri-Score auf vielen Produkten. "Bei Eigenmarken des Handels stellen wir einen stetigen Zuwachs fest. Der Nutri-Score entfaltet sein volles Potenzial aber erst, wenn alle Produkte miteinander vergleichbar sind", sagt Valet.

Noch ist unklar ist, wie groß dieses Potenzial überhaupt wäre. Laut Nutri-Score-Experte Merz gibt es keine begleitende Studie, die den Einfluss des Nutri-Scores auf das Einkaufsverhalten in Deutschland untersucht.

Bessere Rezptur für einen besseren Nutri-Score?

Auch über einen anderen möglichen Effekt des Scores ist wenig bekannt: So könnten Hersteller durch das Ampelsystem motiviert werden, ihre Rezepturen zu überarbeiten. Schließlich lässt sich ein grün gekennzeichnetes Produkt vermutlich besser verkaufen als ein gelbes. "Der Nutri-Score ist im besten Falle ein Ansporn, um beispielsweise den Gehalt an Fett, Zucker oder Salz zu reduzieren", sagt Merz. Doch auch dazu gebe es in Deutschland keine Untersuchung. In anderen Ländern habe man diese erwünschten Rezepturüberarbeitungen aber bereits beobachten können.

Die Regeln, nach denen verpackte Lebensmittel in die Kategorien A bis E eingruppiert werden, werden bald aktualisiert. Das dürfte auch einige Produkte betreffen, die derzeit noch sehr gut wegkommen: So kann man im Supermarkt unter anderem Frühstückscerealien mit Schoko, Weizenspaghetti, Tiefkühl-Spinatpizza und Tortilla-Chips mit dunkelgrünem A finden. "Das sind Stolpersteine, die wir im Rahmen überarbeiteter Regeln zumindest größtenteils aus dem Weg räumen konnten", sagt Merz.

Strengere Regeln bei Zucker gefordert

So sind bereits strengere Vorgaben beschlossen, durch die sich beispielsweise Salz und Zucker schlechter auf das Gesamtergebnis auswirken. Auch Vollkornprodukte und bestimmte Öle mit einem geringen Anteil an gesättigten Fettsäuren wie Oliven-, Raps- und Walnussöl kommen dann im Vergleich besser weg. Insbesondere die strengeren Regeln bei Zucker gehen aber Verbraucherschützern noch nicht weit genug.

Noch sind die Änderungen nicht in Kraft, über einen Zeitpunkt werde derzeit noch im sogenannten Lenkungsausschuss der Nutri-Score-Staaten beraten, wie das Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft (BMEL) auf Anfrage mitteilt. Der Nutri-Score stammt ursprünglich aus Frankreich, ist aber mittlerweile auch in einigen weiteren Ländern wie Deutschland, Belgien und der Schweiz eingeführt. Die Regeln werden dabei einheitlich durch die gemeinsamen Gremien festgelegt.

Verwendung des Nutri-Scores bei Lebensmitteln steigt

Seit Einführung des Systems vor zwei Jahren haben sich laut BMEL rund 610 Unternehmen mit rund 970 Marken für eine Verwendung des Nutri-Scores registriert, Tendenz steigend. Das sei "grundsätzlich positiv und zufriedenstellend für ein freiwilliges System", so das BMEL. Unter den teilnehmenden Herstellern sind einige Schwergewichte. So machen unter anderem Danone, Nestlé und Dr. Oetker mit.

Führt ein Unternehmen den Nutri-Score bei einer Marke ein, hat es in der Regel zwei Jahre Zeit, um auf alle Produkte dieser Marke den Nutri-Score zu drucken. Das soll verhindern, dass die Ampel nur auf Produkten auftaucht, die besonders gut abschneiden. Wegen dieser Übergangsfrist dürften einige bereits für den Nutri-Score registrierte Hersteller in den kommenden Monaten noch deutlich mehr Produkte mit dem Ampelsystem auszeichnen.

Doch nicht alle Hersteller machen mit, wie Peter Loosen, Geschäftsführer und Leiter des Brüsseler Büros des Lebensmittelverbands Deutschland, sagt. Die Einführung der Lebensmittelampel bei einer Marke sei aufgrund zahlreicher Regularien vergleichsweise aufwendig und teuer, in der Regel seien dafür eigene Mitarbeiter nötig. Zudem ständen Firmen, deren Produkte tendenziell schlechtere Bewertungen bekämen, dem Score skeptischer gegenüber. Einige Unternehmen dürften auch abwarten, bis die überarbeitete Berechnungsgrundlage in Kraft ist, um Doppelarbeit zu vermeiden.

Wird der Nutri-Score bald eine Pflicht-Angabe?

Ein weiterer Unsicherheitsfaktor: Noch ist unklar, ob der Nutri-Score über kurz oder lang eine verpflichtende Angabe wird. Verbraucherschützer sind dafür, doch entschieden wird in Brüssel. Denn das EU-Recht lässt Kennzeichnungen wie den Nutri-Score auf nationaler Ebene nur auf freiwilliger Basis zu.

Es wird erwartet, dass die EU-Kommission Anfang kommenden Jahres einen Vorschlag für eine sogenannte erweiterte Nährwertkennzeichnung präsentiert. Aus Sicht des BMEL würde der Nutri-Score alle Voraussetzungen für ein EU-weites Modell erfüllen. "Aus diesem Grund setzt sich das BMEL auch weiterhin für die Einführung des Nutri-Scores in der EU ein." Doch einige andere Länder sperren sich. So ist ungewiss, ob sich die EU für oder gegen den Nutri-Score entscheidet.


Quellen: GEO

Von : Valentin Frimmer, dpa

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