Insekten, In-vitro-Food, bewusster Konsum: Nicht jede:r muss vegan werden

 
 
 

INSEKTEN GEHÖREN ZU DEN NOVEL FOODS UND FINDEN AUCH ALS MEHL ANWENDUNG. ©TECH & NATURE

Wie schädlich die industrielle Tierhaltung für das Weltklima ist, ist längst bekannt. Einer Erhebung der Vereinten Nationen zufolge verursacht die Lebensmittelproduktion etwa ein Drittel der menschgemachten Treibhausgasemissionen. Auch bei einem Blick auf die europäischen Treibhausgasemissionen wird der immense Einfluss der Landwirtschaft auf die jährlich emittierten Emissionen deutlich. Gemäß den Daten der Europäischen Umweltagentur (EEA) verursachte der Sektor Landwirtschaft 10,55 Prozent der emittierten Treibhausgase in der EU 2019. Damit nahm der Bereich Platz zwei auf der Hitliste der schmutzigsten Sektoren innerhalb der EU ein, nach dem Energie-Sektor und noch vor der Industrie.

Umweltauswirkungen um mehr als 80 Prozent reduzieren

Einen großen Anteil an den landwirtschaftlichen Emissionen hat der immense Fleischkonsum. Daher haben sich gerade in diesem Bereich in den letzten Jahren die Bemühungen verstärkt, Alternativen für die Nachfrage nach den tierischen Produkten zu entwickeln. Inzwischen haben einige von diesen die Marktreife bereits erreicht oder befinden sich auf den letzten Metern des Entwicklungspfades. Am Ende wartet jedoch die Hürde der  Akzeptanz bei den Konsument:innen. Denn es kann noch so viele Alternativen geben, wenn sie keiner isst.

Die Erkenntnisse einer kürzlich im Fachblatt Nature Food veröffentlichten Studie könnten dabei aber vielleicht helfen. Wie das Forschungsteam rund um Rachel Mazac von der Universität Helsinki herausstellte, könnte der Ersatz von tierischen Produkten durch sogenannte Novel Foods in der europäischen Ernährung zum einen den Land- und Wasserverbrauch, aber auch die Mengen der ausgestoßenen Treibhausgase um jeweils mehr als 80 Prozent reduzieren. Das ergeben die Analysen auf Basis von theoretischen Modellen.

Novel Foods im Vergleich

Drei Ernährungsformen haben die Forschenden der durchschnittlichen aktuellen europäischen Ernährung gegenübergestellt. Im Vergleich standen eine ökologisch optimierte omnivore Ernährung, in welcher also weiterhin konventionelle tierische Produkte enthalten sind, eine optimierte vegane Ernährung und eine auf neuartige Lebensmittel basierende Ernährung, den sogenannten Novel Foods. Bedeutet: kultiviertes Fleisch und kultivierte Milch aus dem Bioreaktor, Insekten, beispielsweise Mehlwürmer oder Lebensmittel auf Basis von Mikroalgen, Bakterien oder Pilzen. In ihren theoretischen Überlegungen haben die Forschenden alle Ernährungsformen so zusammengestellt, dass sie die optimalen Nährstoffanforderungen erfüllen.

Untersucht haben die Forschenden den Einfluss jeder Ernährungsform bei der Treibhausgasreduktion, bei der Wasser- und Landnutzung. Dafür erstellten die Forschenden  jeweils drei Szenarien, in welchen die Ernährungsformen so optimiert wurden, dass die Auswirkungen entweder auf die Treibhausgasbilanz, dem Land- oder Wasserverbrauch minimiert wurden.

Deutlich bessere Umweltbilanz durch optimierte Ernährung

Dabei kamen sie zu eindeutigen Ergebnissen. Laut den Forschenden könnte eine optimierte omnivore Ernährung und eine optimierte vegane Ernährung den Treibhausgasausstoß, die Land- und Wassernutzung um 81 – 84 Prozent senken, im Vergleich zu der heutigen europäischen Ernährung. Eine Ernährung basierend auf Novel-Food-Produkten könnte den Modellen zufolge sogar zu Reduktionen von 83 – 87 Prozent führen. Zudem können solche neuartigen Lebensmittel laut den Forschenden im Vergleich zu derzeit erhältlichen pflanzenbasierten proteinreichen Optionen wie Hülsenfrüchten und Getreide ein „vollständigeres Spektrum an essenziellen Nährstoffen enthalten wie Eiweiß, Kalzium, Vitamin B12 und mehrfach ungesättigte Omega-3-Fettsäuren“ enthalten.“

Weniger Fleisch = mehr Impact

Dass die Prozentsätze der omnivoren Ernährung und der vergangen Ernährung so eng beieinander liegen, liegt daran, dass die ökologisch optimierte omnivore Ernährung ebenfalls nahezu vegan ist und nur wenige tierische Produkte enthält. Den größten Einfluss (etwa 60 Prozent der positiven Bilanz) hat dabei die Reduzierung oder ein kompletter Stopp des Fleischkonsums, so die Forschenden. In einem weiteren Modell analysierten die Forschenden zudem, welche Auswirkungen es hätte, in der omnivoren Ernährung nur noch etwa 20 Prozent des aktuellen Durchschnitts an verzehrten tierischen Produkten zu inkludieren. Auch bei dieser Ernährungsform kamen die Forschenden zu einer möglichen Reduktion der Treibhausgasemissionen um 70 Prozent, 79 Prozent weniger Wasserverbrauch und 68 Prozent weniger Landverbrauch.

Daran zeigt sich wieder einmal, wie wichtig allein die Reduktion des Konsums von tierischen Produkten ist. Die größte Überraschung stellen aber die Ergebnisse für die Novel Food-Lebensmittel dar. Aber auch da spielt das In-vitro-Fleisch keine tragende Rolle. Laut den Forschenden weisen in der Ernährungsform Insektenmehl, Milch aus Zellkulturen und Myko- oder Mikrobenprotein die beste Balance zwischen Nährstoffgehalt und Umweltauswirkungen auf.

Die Forschenden empfehlen aber grundsätzlich weitere Untersuchungen zu den Umweltauswirkung von neuartigen Lebensmitteln, da ihre Studie durch die bisher nur begrenzte Verfügbarkeit von Ökobilanzdaten und Produktdaten eingeschränkt würde. Zudem ist ihnen bewusst, dass gerade in Europa die Menschen eine Natürlichkeit und Vertrautheit der Lebensmittel schätzen und die Akzeptanz solcher Lebensmittel in hohem Maße vom Geschmack und vom Preis abhängt. Allerdings gehen sie davon aus, dass diese durch Informationen zu den Vorteilen für die Umwelt, der eigenen Gesundheit und dem Tierwohl verbessert werden könnte.

„Zeigt, was theoretisch möglich ist“

In einer Reaktion zu der Studie weist auch Florian Humpenöder vom Potsdam-Institut für Klimafolgenforschung (PIK), welcher nicht an der Ausarbeitung der Studie beteiligt war, daraufhin, dass bei neuartigen Lebensmittel bisher noch große Unsicherheiten hinsichtlich deren Umweltauswirkungen bestehen: „Die Abschätzung der jeweiligen Umweltauswirkungen beruht auf fixen Faktoren für Treibhausgasemissionen, Landnutzung und Wasserverbrauch – abgeleitet aus Lebenszyklusanalysen für jede berücksichtige Produktkategorie. Gerade für neuartige Lebensmittel, die sich noch in der Entwicklung befinden – wie Milch aus Zellkulturen –, gibt es größere Unsicherheiten hinsichtlich deren Umweltauswirkungen.“ Als wesentlichsten Faktor sieht der Forschende dabei den Energieverbrauch bei dieser Art der Lebensmittelproduktion: „ (…) Statt Tiere zu füttern, die dann Milch und Fleisch liefern, wird in der zellulären Landwirtschaft mehr Energie im Produktionsprozess benötigt, beispielsweise um Bioreaktoren zu heizen. Die Treibhausgasemissionen neuartiger Lebensmittel hängen somit wesentlich von der Verfügbarkeit kohlenstoffarmer Energiequellen ab“, so Humpenöder.

Auch Matin Qaim, Direktor am Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, ebenfalls nicht an der Studie beteiligt, gibt in einem Statement zu bedenken, dass es sich bei den Ergebnissen „um mathematische Optimierungen von Ernährungsplänen“ handle: „Die Ergebnisse zeigen, was theoretisch möglich sein könnte und nicht, was realistischerweise zeitnah zu erwarten ist. Deswegen sind die errechneten Einsparungen der Umweltwirkungen hier auch größer als in bisherigen Studien.“ Zudem weist er auch auf die Unsicherheiten bezüglich der tatsächlichen Umwelt- und Ernährungseffekte einiger dieser neuartigen Lebensmittel hin, vor allem dann, wenn sie entsprechend skaliert würden.
Nichtsdestotrotz hebt Quaim als Erkenntnis der Studie hervor, dass diese beweist, welch „wichtige Stellschraube“ die Umstellung des Ernährungsverhaltens sein kann. Insbesondere durch die Reduktion des Fleischkonsums. Auch in dem zuletzt vom Weltklimarat veröffentlichten Teilreport zum sechsten Sachstandsbericht wurde deutlich, dass eine nachhaltigere Ernährungsweise große Auswirken auf die Verringerung der emittierten Treibhausgase hätte. Wer also das Rinder-Burgerpatty mit einem auf Basis von Insektenmehl tauscht, könnte das Weltklima bereits entlasten, ohne vegan zu sein. Es hilft aber auch bereits, wie die Ergebnisse zeigen, tierische Produkte weniger und bewusster zu konsumieren.


Quellen: T&N

Von : Jasmin Spreer

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